Die Geschichte eines fast verschwundenen Dorfes

Tagblatt der Stadt Zürich 03. Mai 2016

Die Zukunft Affolterns kündigt sich an: Ein Bauer pflügt seinen Acker, im Hintergrund wird das Wohnhochhaus Im Holzerhurd hochgezogen. Bilder: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich/Google Street View

Von: Jan Strobel
03. Mai 2016

Quartiere einst und jetzt: In loser Folge reisen wir in die Vergangenheit und stellen Impressionen von verschiedenen Zürcher Stadtvierteln im Wandel der Zeit vor. Diese Woche: Affoltern.

Ein Bauer hat seine Pferde angespannt, er pflügt den Acker, konzentriert, verbunden mit seinem Boden und seinen Tieren, so, wie es schon seine Vorfahren hier auf dem Mühlacker immer gewesen waren. Doch im Hintergrund, beim Waldrand im Holzerhurd, kündigt sich die neue Zeit in Affoltern an. Ein Hochhaus wächst dort in den Himmel, umgeben von kleineren Wohnblocks. Das Foto stammt aus dem Jahr 1967, und es könnte als Abgesang auf das ländliche Vorstadtidyll gelesen werden, das Affoltern einmal gewesen ist. Die Pferde, der Pflug, der Acker, sie sind natürlich längst im Nebel der Quartiergeschichte verschwunden. Heute befände sich dieser Bauer direkt auf der Autobahn A 1, die sich hier seit Beginn der 80er-Jahre durch die Landschaft zieht. 

Ab den 50er-Jahren setzte ein erster grosser Bauboom ein, der das Gesicht des Quartiers geradezu dramatisch zu verändern begann. Innerhalb von zehn Jahren entstanden Wohnsiedlungen für mehr als 10 000 Menschen. Der zweite massive Bauboom seit Beginn des 21.  Jahrhunderts setzt diese Entwicklung fort. Zählte Affoltern im Jahr 1941 noch 3000 Einwohner, sind es heute rund 26 000, das sind mehr als beispielsweise in Bellinzona oder Aarau. Affoltern weist damit die zweithöchste Bevölkerungszahl der Stadtquartiere aus. An erster Stelle steht Altstetten mit rund 31 500 Einwohnern. Allein zwischen 2004 und 2014 wuchs die Affoltemer Wohnbevölkerung um 37,1 Prozent. 
Das alte, bäuerliche Affoltern ist dennoch nicht gänzlich verschwunden. Beinahe unveränderte Zeugen aus dieser Zeit finden sich beispielsweise noch im Unterdorf an der Blumenfeld- und der Katzenseestrasse. Auch an der Zehntenhausstrasse neben dem Gasthof Löwen blieb noch alte Bausubstanz erhalten. Verschwunden ist allerdings weitgehend die Industrie, die einst dieses Gebiet ebenfalls prägte, wie zum Beispiel das CeCe-Grafitwerk, dessen imposante Hallen 2004 zugunsten einer Wohnsiedlung abgetragen wurden. Als Zeitzeuge stehen blieb allein die alte Ofenhalle.

    

Das Haus mit Stallscheune und Werkstatt an der Neuwiesenstrasse wurde 2009 abgerissen und die Alterswohnsiedlung Frieden gebaut.

   

Der Zehntenhausplatz: Einziger Referenzpunkt der Vergangenheit ist hier noch der Gasthof Löwen.

   

Verschwundene Affoltemer Industrie: An der Blumenfeldstrasse befand sich einst das Benzin- und Mineralölwerk Jules Kuhn & Cie. 1985 wurden die letzten Fabrikgebäude abgetragen.

Dieses Idyll blieb beinahe unverändert: Die Blumenfeldstrasse im Unterdorf.

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